Königlicher Januar

„WILLE? WILLE?“ Die Frau an der Bahninformation guckte mich an. Ja, was meint sie denn? Erst als sie den Bildschirm drehte und erwartungsvoll auf das kleine Wort ville (deutsch: Stadt) tippte, verstand ich. Ville! Ahhh! „Ja nach La Rochelle Ville bitte.“ Oje, nach 3 Wochen Ferien zu Hause realisierte ich erst, dass ich in Sachsen war. Doch die Realität holte mich ein. Erst ist ein Zug komplett ausgefallen, dann sorgte der Schnee für ordentlich Verspätung. Deshalb musste ich einen Tag später als geplant fahren. Die Frau verstand nicht recht. „Nach Frankreich wollen sie? Zu den Zeiten? Ich darf ja nicht mal nach Dresden!“ Und trotzdem lag ich nach einer superlangen Reise kurz vor Mitternacht in meinem französischen Bett, als wäre ich nie weggewesen. Mein letzter Gedanke galt dem beleuchteten Hafen, der fernab von jeglicher heimatlicher Schneelandschaft mindestens genauso zauberhaft aussah.

In meiner Dienststelle Fenelon Notre Dame hat sich nach den Ferien nicht viel verändert, was mich umso zufriedener machte. Die Kinder freuten sich, mich wiederzusehen und der Schulstart lief reibungslos ab. Ganz besonders freute ich mich auf den 6. Januar.

Denn wie ich im Französischunterricht gelernt hatte, isst man an diesem Tag in Frankreich einen Kuchen, la Galette des Rois, in dem eine kleine Figur versteckt ist. Wer diese findet, darf für einen Tag König sein. Ja, so weit zur Theorie.

Ich habe eine Menge dazugelernt! Schon am 4. Januar waren die Bäckereien voll mit den Dreikönigskuchen. Wo sonst leckere Törtchen und Macarons liegen, nehmen jetzt die runden Kuchen mit goldenen Papierkronen den Platz ein.

Abends am 6. Januar war ich schon ganz traurig weil ich mir in aller Hektik keinen Kuchen gekauft habe. Aber…

Am 7. Januar gab es den Kuchen im Lehrerzimmer, am 8. in der Kantine, am 8. abends während meines Fitnesskurses, am 11. brachte eine Lehrerin und am 14. eine Schülerin einen Kuchen mit. Aha in Frankreich kann man also jegliche Neujahrsvorsätze zum Thema „ich achte auf meine Figur“ vergessen. Auch gut, das neue Jahr beginnt entspannt und lecker.

Und es gibt so viele Bräuche und Geschichten um die Galette des Rois! Die kleinen Porzellanfiguren, die heutzutage eingebacken werden, waren damals getrocknete Bohnen, weshalb man heute noch zu den Figuren „Bohne“ (la fève) sagt.

Auch ich war einmal glückliche Königin während der Fitnessstunde und freute mich, als ich in meinem Mund das Porzellanstück ertastete. Derjenige, der die Figur in seinem Stück findet, darf sich eine Papierkrone aufsetzen. Je nach Tradition darf der König den ganzen Tag bedient werden oder er ist für den Kuchen im nächsten Jahr verantwortlich. In manchen Familien wird auch ein Stück für Bedürftige aufgehoben. Manchmal darf sich die Königin einen König aussuchen oder umgekehrt oder es müssen alle Familienmitglieder „Le roi boit“ (Der König trinkt) rufen, wenn dieser sein Glas zum Mund führt. Eine andere Tradition habe ich selber mit den Schülern ausprobiert: das jüngste Kind muss unter den Tisch kriechen und blind die Stücke den Essern zuteilen, damit keiner schummelt. Tja und dann gibt es natürlich noch das Battle zwischen Nord-und Südfrankreich: zwischen Team „Galette feuilletée“ und Team „Brioche“. Es gibt nämlich nur diese zwei Arten der Kuchen. Entweder man liebt den Kuchen aus Blätterteig mit Mandelcreme-Füllung, welche man Frangipane nennt (klingt dieses Wort nicht schön?). Dieser ist mehr in Nordfrankreich verbreitet. Oder man liebt den Gâteau des Rois aus Briocheteig mit kandierten Früchten, der eher im Süden Frankreichs verbreitet ist.

Im Kulturunterricht war die achte Klasse übrigens erstaunt, dass es diese Galette des Rois so in Deutschland nicht gibt. Als ich von den Sternsingern in Deutschland erzählte, freute sich ein Mädchen, weil doch die französische Tradition aus ihrer Sicht weitaus cooler ist. Das wertet es wieder auf, dass es in Frankreich keine Plätzchen, Stollen oder Lebkuchen gibt.

In den letzten Wochen zeigte ich den jüngeren Klassen einen kleinen Film, den ich über die Weihnachtsferien gedreht hatte. Es macht Spaß, den Schülern authentisch zu vermitteln, was wir in Deutschland an Weihnachten und Silvester machen. Während die einen von der Physik der Pyramide begeistert waren, wollten die anderen genau wissen, wie man Klöße gefüllt mit Semmelbrösel zubereitet. Und die Fragen aller Fragen: Werden die Voraussagen beim Bleigießen auch wahr? Denn Bleigießen kennen die Franzosen nicht.

Die Weihnachtstraditionen wurden von den Vorbereitungen des Deutsch-Französischen Tages am 22. Januar abgelöst. Denn am 22. Januar 1963 unterschrieben de Gaulle und Adenauer den Élisée-Vertrag. Somit wurde auch das DFJW (Deutsch-Französisches Jugendwerk) gegründet, meine Organisation des Freiwilligendienstes. Die Deutschlehrerinnen und ich entschieden uns letztendlich für einen Plakatwettbewerb zum Thema Deutsch-Französische Freundschaft. Es ist wirklich lustig, in allen Klassenstufen dasselbe zu machen und zu sehen wie ähnlich die Altersgruppen mit dem Thema umgehen. Deutsches Bier ist ein absolutes Muss auf den Plakaten. Ich staunte nicht schlecht über einen deutschen Adler und einen französischen Hahn, die ihr europäisches Ei bewundern oder über Merkel und Macron als Liebespaar.

Ich bin sehr gespannt, für welche Plakate sich die Jury entscheidet.

Aber ich möchte nicht immer nur von meiner Schule erzählen, obwohl ich sie wirklich liebe. Denn natürlich haben wir drei Freiwillige aus La Rochelle unsere Wochenendpläne wieder aufgenommen. Dazu gehört immer ein Besuch auf dem Markt und abends Wein und entspannte Gespräche über die Zukunft und über Mitbewohner. Oder über Franzosen. Oder über Essen. Oh oder über unsere Pläne. Wir lieben es, Pläne zu schmieden. Wir wollen eine Geburtstagsparty veranstalten und Fasching feiern, eigentlich wollten wir auch Hühner halten oder mit dem Fahrrad auf alle umliegenden Inseln fahren!

Letzten Mittwoch wurde aus einer langen Radtour letztendlich doch eine Shoppingtour. Man kann den niedlichen Läden in La Rochelle einfach nicht widerstehen. Und da im Januar sehr viele Klamotten bis zu 60% runtergesetzt sind, ist die Freude bei hochqualitativen Kleidungsstücken besonders groß!  

Da ich nun immer noch nicht die Inseln besucht habe (außer die Île de Ré), durfte ich sie aber von oben betrachten. Denn ja, Überraschung Überraschung: der Mann einer der Deutschlehrerinnen nahm mich einfach mit dem Flugzeug mit, als wäre das das Normalste der Welt! Ich wusste vorher nicht, wie man ein Gefühl des Fliegens beschreiben soll. Ich hatte keine Angst und war auch nicht aufgeregt. Aber dann war mir klar, es ist ein Gefühl des Luxus‘, weil man sich die Freiheit nehmen kann, von oben die Dinge zu betrachten ohne einen Weg oder eine Zeit einhalten zu müssen. Ich wollte unbedingt den Ford Boyard, eine Festung mitten im Wasser von Nahen sehen, weil man da nur mit einer teuren Schifffahrt hinkommt. Kein Problem. Der Pilot drehte eine extra Runde und wir flogen ganz tief über das alte Gefängnis darüber hinweg. Ich konnte einfach in den Innenhof blicken! Ein bisschen mulmig wurde mir jedoch schon, als ich selber lenken durfte und das Flugzeug plötzlich komplett zur einen Seite wegkippte. „Arrête“, schrie die Tochter des Piloten von der hinteren Sitzreihe. Ups.

Ganz sanft landeten wir bei herrlichem Sonnenschein auf der Landebahn. Das sind solche Topmomente fürs Leben. Weitere Highlights in den letzten Wochen war ein Hummus-Sandwich, ein Spaziergang am Châtelaillon-Plage und die fertige Ausstellung der Plakate zur deutsch-französischen Freundschaft (Fotos folgen).

Ich hatte mich zwar zu Hause sehr wohlgefühlt, doch es ist auch schön wieder hier zu sein. Denn gibt es zu Hause unglaublich lange Strände? Nein. Und es gibt auch keine Franzosen, die dir den Wortursprung von copain (auf deutsch: Freund) erklären. Ja Co-pain (deutsch: Co-Brot) kommt ursprünglich daher: man teilt das Brot mit seinem Co-„Esser“. Okay.

Nun sind schon wieder fast Februarferien. Wo es als nächstes hingeht?

Bis bald.   

Blätterteig mit Mandelcreme selbstgemacht und der Gâteau des Rois aus Briocheteig 

Fève gefunden, Königin geworden

Châtelaillon-Plage – da wo sich Himmel und Erde küssen

Vorfreude 

Ford Boyard (eine alte Festung) und die Insel „Île d’Aix“ von oben

Hummus-Liebe

Was lieben die Fünftklässler an Deutschland? Die Autos.

der Plakatwettbewerb zum Deutsch-Französischen Tag

doppeltes Lottchen zum Schlussverkauf 👯‍♀️

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