Gelb-Schwarz gegen Rot-Schwarz

„Ici, ici c’est La Rochelle“, schrien wir aus dem Hotelfenster
hoch über den Dächern von Toulouse. Die Sonne ging gerade unter. Die rote Stadt
schien sich im Himmel zu spiegeln. Stille. Kein Toulouser antwortete unseren Fangesängen.

Das letzte Wochenende war ich wieder einmal in Toulouse.
Diesmal haben ein paar Freiwillige und ich uns zwei Zimmer im Aparthotel
gemietet und genossen das erste Wochenende, an dem die Bars und Restaurants
wieder öffnen durften. Denn der französische Charme einer Stadt entsteht erst,
wenn man ganz gedrängt an winzigen Tischen sein Croissant nascht, während ein
Zentimeter neben einem ein Uber-Motorrad entlangrast. 

Was wir nicht geplant hatten, was aber ein cooler Zufall
war, war das Rugby-Finale. Am 22.05. war der European Rugby Champions Cup
zwischen La Rochelle und Toulouse. Wir wären natürlich gern in La Rochelle
gewesen und hätten mit allen Menschen am Hafen gefeiert. Doch wie es das
Schicksal wollte, gewann Toulouse und so waren wir ganz froh, nicht in die
traurigen Gesichter in La Rochelle sehen zu müssen.

Aber jetzt muss ich erstmal erzählen, wie sehr der Rugby-Kult in La Rochelle gefeiert wurde. In allen Straßen hingen und hängen
immer noch schwarz-gelbe Girlanden, die Busse sind mit Fähnchen geschmückt und
auch in meiner Schule wurden überall Fahnen aufgehängt. Wer hat, trägt eine „Masque
Noir adulte avec logo club coté gauche“ oder kombiniert schwarze Basics mit
gelben Accessoires. In der Rugbysaison ist es anscheinend üblich, dass die sowieso
viel zu modischen Lehrerinnen an meiner Schule ihre gelbe Ledertasche oder das
gelbe Seidentuch rausholen.

Hier ein kleines Flashback: An dem Tag, an dem La Rochelle im Halbfinale gewonnen hatte,
saß ich mit ein paar Freiwilligen und Erasmusstudenten im Park und meditierte. Das gehört inzwischen bei den Studenten zum Alltag.
Sofern das möglich war, denn da die Fans nicht ins Stadion durften, standen sie
davor und ja das Jubelgeschrei hörte man überall in La Rochelle. Später sind wir mit
der Meditations-Gruppe zum Hafen spaziert und konnten kaum glauben, was wir da
sahen. Kinder saßen auf den Schultern ihrer Eltern und schwenkten die schwarz-gelben
Fahnen. Fans quetschten sich aus den Fenstern und
brüllten aus Leibeskräften. Später kletterten sie sogar aufs Dach. Ein Schiff
auf Rädern fuhr vollbeladen mit schwarz-gelben Menschen vorbei. Das war surreal. Nachdem sich einer auszog und ins Hafenbecken sprang, sprangen alle mutig und vom Sieg berauscht hinterher. Für einen Moment vergaßen die Menschen die strengen
Maßnahmen und ließen sich von der guten Stimmung treiben.

Und wie von Zauberhand gingen alle brav nach der
Ausgangssperre nach Hause. Die Polizisten standen ruhig daneben mit ihren
schwarz-gelben Masken. Dieser Abend war toll und schon einmal ein Vorgeschmack
auf den 19. Mai, denn da sollten die Bars, Restaurants und Geschäfte wieder
öffnen. Und die Ausgangssperre sollte auf 21 Uhr verschoben werden.

Dann am Wochenende der Wiedereröffnung waren wir, wie gesagt, in Toulouse. Wir
waren jedoch ein bisschen enttäuscht, denn trotz der neuen Regelungen sollten
die Bars doch schon um 19 Uhr schließen und auch das Rugbyfinale durfte nicht
öffentlich ausgestrahlt werden, damit keine Menschenansammlungen entstehen. So
waren um 17 Uhr alle Menschen auf dem Weg nach Hause. Ein sehr schönes Bild,
was mir in Erinnerung blieb, war ein alter Mann mit einem Röhrenfernseher
unterm Arm. Auch wir schauten das Spiel zusammen an, wie alle Menschen in
Toulouse und gingen erst nach dem Sieg auf die Straßen. Die Menschen waren verunsichert. Auf dem Place du Capitole standen überall Polizisten. Alles war abgesperrt. Manchmal trauten sich Jugendliche zu schreien. Einige rannten nur in Unterhose durch die Stadt. Denen war offensichtlich zu heiß. Aber alles blieb in Maßen… oder? Naja auf dem Rückweg überraschte uns ein hupender Autokorso und das, was wir da sahen, war alles andere, als …  äh erlaubt.

Man stelle sich ein Mini-Festival vor zu Ehren des Rugbysports, mit roten Rauchfackeln, berauschten Menschen, die auf ihren hippen Van steigen und schreien, mit roten Perücken, mit geschminkten lächelnden Glitzergesichtern, mit lauter Musik und Gehupe, mit Tanz und mit Rhythmus und einfach nur Spaß. Da hat nur noch der Moshpit gefehlt.  

Es war insgesamt ein sehr interessantes Wochenende und knüpfte da
an, wo wir vor einer Woche stehen geblieben waren. Nämlich vor dem
geschlossenen Toulouse-Lautrec-Museum in Albi. Und vor geschlossenen
Restaurants. Und vor geschlossenen Geschäften.

Über Himmelfahrt vor unserem Toulouse-Wochenende mieteten
wir uns ein Airbnb in der Geburtsstadt des Künstlers Toulouse-Lautrec: in Albi.
(ein bisschen traurig, dass wir nicht den Aldi in Albi besucht haben)

Im Gegensatz zu unserem Toulouse-Aufenthalt war es ein
Wochenende voller Ruhe. Es hatte zu dem Zeitpunkt noch nichts offen, weshalb
wir hauptsächlich wanderten und die frühen Abende durch die Ausgangssperre mit
Kochen, Backen und Essen nutzten. Im stilvoll eingerichteten Apartment fühlte
ich mich sofort wohl. Es ist immer wieder schön, mehr als ein Zimmer Wohnraum
zu besitzen und somit war das große Sofa und die Leinwand mehr als Willkommen.
Falls ihr noch nicht Midnight in Paris gesehen habt, kann ich es nur empfehlen. Wir genossen den Film mit einem Glas Mojito, an dessen Rezept
wir unbedingt noch feilen müssen.  

Albi ist eine Gemeinde im, nach dem Fluss benannten,
Département Tarn. Diese schöne Stadt in der Nähe von Toulouse bestand auch fast
komplett aus Backstein. Sie ist berühmt durch ihre riesige Kathedrale
Saint-Cécile, die von innen komplett bemalt ist. Wir hatten das Privileg am
Himmelfahrtsgottesdienst teilzunehmen, da man sonst die Kirche nicht
besichtigen durfte. Die Orgelklänge gingen wirklich unter die Haut.

Das Schönste in Albi ist der Blick auf den Englischen Garten
und auf den Fluss Tarn, der die Stadt sanft in zwei teilt. Malerisch wird die
Sicht erst auf weiße Kletterrosen, dann auf den grünen Fluss und dahinter auf
die roséfarbenen Gebäude frei. Man kann stundenlang auf die andere Flusseite
starren und philosophieren, welches Haus man sich im nächsten Leben kauft.

Wenn ihr jedoch Albi einmal besucht, seid ihr nicht weit
entfernt von einem der schönsten Dörfer Frankreichs: Corde-sur-Ciel. Mit der
Businie 707 fährt man eine dreiviertel Stunde und hat nebenbei einen tollen
Blick aufs saftig grüne, leicht hügelige Tarntal. Corde-sur-Ciel thront wie
eine Märchenstadt auf einem Berg. Ein zauberhafter Anblick.

Gepflasterte Gässchen und Treppchen führen den Hügel hinauf.
Wir erwischten ein regnerisches Wochenende, aber das machte die Stadt umso
schöner. Es roch frisch und duftete nach Rosen, die die Holztüren der Einwohner
umrankten. Überhaupt habe ich noch nie so viele schöne Rosen in einem Ort
gesehen! Bei dem Spaziergang nach oben entdeckt man viele kleine Läden mit
selbstgemachten Schmuck, Leckereien oder Lederwaren. Handwerk und Kunst ist der
Gemeinde sehr wichtig und es wird gern öffentlich ausgestellt. So
philosophierten wir zum Beispiel über die Genitalien eines riesigen Mosaikmannes.
Was der Künstler Stanko Kristic wohl damit sagen wollte?

Besonders angetan hatte es uns der Touri-Shop. Er war aber wirklich
schön eingerichtet! Da haben wir unter anderem in Zucker eingelegte Veilchen, eine
Küchenguillotine und für die Region typische Croquants aux amandes
(Mandelkekse) gefunden. Veilchenläden findet man rund um Toulouse übrigens sehr
häufig. Die blauen kitschigen Läden verkaufen alles, was man aus Veilchen
herstellen kann: Veilchenseife, Veilchenbonbons, Veilchensenf,… Ich fand jedoch
die Pastel-Läden viel interessanter. Sie sind auch blau und sollte man somit
mit den Veilchenläden nicht verwechseln.

Pastel oder auf Deutsch Färberwaid, ist ein Pflanze, aus der
vor allem im Mittelalter blaue Farbe hergestellt wurde. Sie war das blaue Gold
des Südwestens. Durch diese kleine Pflanze können wir heute Patriziergebäude im
Renaissance-Stil betrachten, denn sie war die Quelle des Reichtums bis das
Pastel durch den billigeren Indigo abgesetzt wurde.

Als Kunstliebhaberin interessierte ich mich natürlich für das Pastel für die
Farbe an sich und kaufte mir eine Aquarelltube. Es ist ein tolles Gefühl mit
dem gleichen Farbstoff zu malen, mit dem man schon im Mittelalter gefärbt hat.
Und das wusste ich auch nicht, aber man hat mit dem Pastel tatsächlich eher
Stoff gefärbt als damit gemalt. Das bedeutet: das wunderschöne Blau im
Innenraum der Kathedrale in Albi stammt nicht, wie vermutet, aus der Pflanze.

Noch einmal zurück zu Toulouse: Nach Cordes-sur-Ciel und Albi waren wir die vielen Menschen in Toulouse nicht mehr gewöhnt. Nach zwei Stadtführungen und einem Museumsbesuch bei Airbus waren wir abends todmüde und anstatt Partystimmung weilte unter uns eine, wie eine Freiwillige so schön sagte, „gefräßige Stille“. Am nächsten Tag
brachte uns ein BlablaCar sicher und schnell zurück nach La Rochelle. Den Wind
hier hatte ich nicht vermisst.

Ich bin gespannt, was die nächsten Wochen bringen werden.
Seit neuestem habe ich eine neue Klasse, 5 Neuntklässler, die supermotiviert
sind. Auch die Schüler der 12. Klasse wünschen mehr Unterricht, weshalb ich gut
beschäftigt bin. Besonders freue ich mich auf mein letztes großes Projekt in
der Grundschule zum Thema „Reisen in Deutschland“. Und ich warte Tag für Tag auf
den Sommer und freue mich auf lange Abende am Strand oder im Restaurant bei
Moules Frites. Es ist komisch zu wissen, dass der Freiwilligendienst in ein
paar Wochen vorbei ist.

Mittlerweile müssen die Viertklässler entscheiden, ob sie
nächstes Jahr deutsch oder spanisch wählen und wie gern würde ich auf die Frage, ob ich nächstes Jahr die Deutschklassen übernehme mit „Ja“ antworten. Es macht einfach so viel Spaß und so langsam freue ich mich auf mein Lehramtsstudium.

Restons vigilants – Lasst uns vorsichtig bleiben. Das dachten sich die Fans auch. 

Panoramablick in Albi

altes Kloster in Albi

im Backfieber: selbstgemachte Cannelés

ein typisches Pastelgeschäft 

Rot ja rot sind alle meine… Gebäude rund um Toulouse. Die Kathedrale von Albi.

Toulouse hat gewonnen: wo sind die Menschen?

hier

die Concorde im Airbusmuseum

in La Rochelle blühen auch die Rosen

wöchentlicher Gang zum Waschsalon, geschmückt ist überall

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