Work-Life-Balance on top

Die letzten Wochen waren spannend. Ein Mädchen namens Apfel, drei hübsche Jungs und 8,50 € für eine heiße Schokolade sagen schon alles. Und dazu kommt ja noch meine 35-Stunden-Woche. Ich bin froh, abends todmüde ins Bett zu fallen und den Abwasch gerade noch rechtzeitig geschafft zu haben. Aber Gott sei Dank sind bald Ferien und jetzt wird es auch langsam in der Schule ruhiger.

Ich habe mich in der Schule sehr gut eingelebt. Mittlerweile habe ich meinen Rhythmus gefunden und nutze die Zeit zwischen den Unterrichtsstunden zur Vorbereitung. Ich halte immer noch sehr viele Präsentationen, je nachdem was thematisch gerade passt. Aber auch Lückentexte, Sprachanimationen oder kleine Frage-Antwort-Übungen bereite ich vor. Während die eine Lehrerin ausführliche Unterrichtvorbereitung erwartet, praktiziert die andere Lehrerin vor allem Spontanität. Somit lerne ich beide Seiten des Unterrichts kennen.

Im Laufe der letzten Wochen habe ich die Deutschklassen sehr liebgewonnen und schätze die unterschiedlichen Gruppeneigenschaften. Ich begleite insgesamt 11 Klassen, teilweise zwei Klassen pro Klassenstufe und teilweise handelt es sich um sogenannte Deutsch+ Klassen.

Darf ich vorstellen:

Die Cinquième: niedlich, quirlig, witzig

Die Quatrième: neugierig, offen, motiviert

Die Troisième: begriffsstutzig, liebenswürdig, motiviert

Die Seconde: laut, ausgefuchst, schlau

Die Première: mitteilungsbedürftig, interessiert, humorvoll

Die Terminale: gelangweilt, freundlich, unglaublich müde

(die Klassen entsprechen ungefähr den Klassenstufen 6 bis 12 in Deutschland) 

Was mir hier vor allem auffällt: je näher das Abitur rückt, desto mehr lässt die Mitarbeit und die Motivation nach. In Deutschland war das meiner Meinung nach anders. Da kennt man die Undiszipliniertheit eher aus den jüngeren Klassen.

Aber hier wissen die Schüler trotzdem, wann absolute Disziplin gefordert ist. Ich habe z. B. zum ersten Mal eine Attentatübung mitgemacht, ohne zu wissen, dass es eine Übung ist, und fand das ehrlich gesagt ein bisschen gruselig. In nicht einmal 10 Sekunden wurden die Türen zugestellt, das Licht ausgemacht und die Vorhänge zugezogen. Mucksmäuschenstill wartete man unter dem Tisch, vielleicht eine viertel Stunde lang bis zuerst ein Lehrer herumging und laut an den Türen rüttelte und dann eine Durchsage gemacht wurde, dass es sich nur um eine Übung handelte. Sehr heftig fand ich, dass man eine Klasse vergessen hatte und diese plus Lehrer fast eine Stunde bei völliger Dunkelheit unter den Tischen ausharrte.

Meine Lieblingsstunde ist die der Deutsch+ Klasse der Quatrième (entspricht in Deutschland der 7. Klassenstufe.). Da sich die Schüler mehr deutsche Kultur gewünscht haben, bastelten wir Ende September ein Plakat zum Thema „Feste in Deutschland“. Im Laufe des Jahres werden sie alle Feste in Deutschland spielerisch lernen. Bisher lauschten sie gespannt meinen Geschichten zum Schulanfang. Eins steht fest: Sie lieben die Tradition der Zuckertüte. Zum 30-Jährigen Jubiläum der deutschen Einheit interviewen die Schüler meine Eltern und dürfen alles fragen, was sie interessiert. Auch auf den Film „Fritzi“ sind sie schon sehr gespannt. Dieser ist übrigens bis zum 21. Oktober 2020 in der Mediathek von Arte zu sehen. Falls ihr 79 Minuten Zeit habt, schaut ihn euch an!

Ansonsten übernehme ich kleine Aufgaben. Einerseits erkläre ich den jüngeren Schülern das Wetter, das Datum, die Jahreszeiten etc., andererseits stelle ich den älteren Schülern das deutsche Abitur und meinen Freiwilligendienst vor. Es ist schön zu sehen, dass viele ins Ausland möchten und motiviert sind, deutsch zu lernen, auch wenn ich glaube, dass in Deutschland der Sprachunterricht intensiver gelehrt wird bzw. einen anderen Stellenwert hat.

Und nach fünf harten Tagen folgt dann endlich der Ausgleich.

Wir drei Mädchen, die einen Freiwilligendienst in La Rochelle machen, sind vollends zufrieden mit unseren Wochenenden. Wir machen immer das, was uns Spaß macht. Okay, was haben wir alles gemacht?

Es ist unglaublich, dass drei Mädchen am ersten Barabend drei Jungs getroffen haben, die ausgerechnet auch für ein Jahr in La Rochelle studieren, die auch noch ein Auto haben und außerdem sehr hilfsbereit und offen sind. Die Stimmung im Irish Pub hat uns auf jeden Fall beeindruckt, denn englische Musik und gutes Bier muss man in Frankreich erstmal finden.

Aber auch die Bar am Wochenende darauf hatte etwas. Freundlicherweise hat der Kellner uns durchfrorenen armen Mädchen heiße Schokolade mit Bayleys serviert. Köstlich, aber waren das wirklich 8,50€ wert? Immerhin lernt man ständig neue Leute und interessante Lebensgeschichten kennen. 

Was unseren kulinarischen Horizont betrifft, wurde dieser noch nicht durch die berühmten Austern, Muscheln oder Meeresfrüchte erweitert, wie es eigentlich in La Rochelle üblich wäre. Nein, wir haben andere Dinge ausprobiert. Wir besuchten zunächst ein asiatisches Restaurant, wo man den Koch beobachten konnte, wie er den Nudelteig frisch zubereitete. Ein voller Erfolg. 

Und französischer Kebab stand auf unserer Liste. Das Bestellen eines Kebabs läuft folgendermaßen ab. Man bestellt einen Kebab und dann wartet man eine viertel Stunde lang bis der Dönermann mit ganz viel Hingabe den Kebab fertig belegt hat. Man staunt, weil man sich fragt, wie lange man einen Kebab belegen kann. Wenn man ihn dann in der Hand hält, bemerkt man, dass man nicht wie in Deutschland gefragt wurde, was man draufhaben möchte. Und nach Kräutersoße oder Kraut kann man lange suchen. Also, das ist wirklich etwas ganz anderes, sieht anders aus und schmeckt anders und am besten isst man ihn mit Pommes. Also an alle in Deutschland: denkt an mich, wenn ihr deutschen Döner esst. Aber letzendlich kann mich nicht beschweren. Französischer Kebab am Hafen mit Sonne im Gesicht, umgeben von Möwen ist halt wie Urlaub.

Ein anderes Highlight war der Ausflug nach Bordeaux. Es ist einfach so cool in den Zug oder ins BlaBlaCar zu steigen und übers Wochenende nach Bordeaux zu fahren. Wir besuchten die Lazershow „Bassins de Lumières“, in welcher die Kunstwerke von Klimt und Klee in dem Inneren des berühmten U-Boot-Bunkers gezeigt wurden. Die Stimmung war fantastisch. Untermalt von klassischer Musik versank „Der Kuss“ von Klimt ins Wasser. Der Boden des Bunkers ist nämlich eine Wasserfläche. Die kunterbunten Gemälde von Klee flossen zur Musik der Zauberflöte über die kahlen Mauern. In einem Meer von Sinneseindrücken hielten wir uns mehr als zwei Stunden auf. Am Ende entspannten wir uns in einem kleinen Raum auf Kissen und ließen uns treiben von einer weiteren Lichtillumination der Künstler Anitya und Ocean Data. Mithilfe von Algorithmen zauberten die beiden Künstler Strukturen und sich immer wiederholende Bewegungen in den quadratischen Raum. Eingesponnen von futuristischen Kunstwerken schliefen wir fast völlig fertig auf den weichen Kissen ein. Die warme beruhigende Bunkerhalle war nämlich das totale Gegenteil von dem prasselnden Regen draußen. Die Ausstellung würde ich euch ja gerne empfehlen, wenn Reisen zu diesen Zeiten nicht so kompliziert wären.

Eine ähnliche romantische Stimmung erzeugte das Aquarium in La Rochelle. Wir entdeckten die unterschiedlichsten Quallenarten zu der Musik „Carneval der Tiere – die Fische“. Sehr passend. Der Ausflug ins Aquarium hat echt Spaß gemacht, denn uns besuchten in La Rochelle noch andere Freiwillige, mit denen wir dahingingen. Vor allem mit ihnen fällt uns immer wieder auf, wie unwirklich schön das Zentrum von La Rochelle aussieht. Das Riesenrad, der Hafen mit den riesigen Schiffen und die Türme wirken wie Pappkulissen, die im nächsten Moment zusammenfallen.

Unwirkliche Momente waren unter anderem ein kostenloses Freilufttheater. Dieses Wochenende fand nämlich ein Theaterfestival in La Rochelle statt. Im Zentrum verteilt, hatte man die Möglichkeit vier Tage lang bei verschiedenen Theaterstücken zuzuschauen. Ganz ganz besonders war eine Pub Show, also französische Werbung, die auf die Schippe genommen wird. Stellt euch eine Dame vor, die im roten Kostüm für Damenbinden Werbung macht und gleichzeitig artistische Kunststücke hoch über dem Hafen zeigt. Stellt euch einen Mann aus dem Zuschauerraum vor, der am Ende die Hauptperson erschießt. Stellt euch Tanz, Gesang und Komik vor, während ein riesiges Piratenschiff im Dämmerlicht in den Hafen einfährt. Das ist unwirklich. Ach, ich kann euch sagen, das war schön.

Was meine Wochenroutine betrifft, bin ich sehr zufrieden. Mittlerweile habe ich meine Stammbäckerei, die erst 20 Uhr schließt. Ich kenne den Verkäufer vom Späti nebenan und wir grüßen uns immer. Bei ihm kaufe ich den Wein. Ich kaufe Nüsse im Lidl, Hafermilch im Bioladen und den Rest im Carrefour oder Intermarché. Jeden Mittwoch esse ich zusammen mit Berufsschülern im Park. Am Donnerstag gehe ich ins englische Sprachencafé, um über Trump und andere amerikanische Politiker zu philosophieren. Mal sehen, wann sich das Thema ändert. Und freitags steht Fitnesstraining an, wo ich jedes Mal fast sterbe. Dort habe ich übrigens das Mädchen namens Pomme (also Apfel) kennengelernt. Die Freundin wollte mir weißmachen, dass sie Clementine heißt. Auf jeden Fall haben sie Humor.

Tja, so eine Art Routine ist natürlich auch die tägliche Entscheidung in der Kantine. Regel Nummer 1: Nimm immer Mousse au Chocolat, wenn es angeboten wird, sonst bist du danach unglücklich.

Und als kleines Extra noch meine neusten Erkenntnisse zu den Unterschieden von Deutschland und Frankreich:

 Die Franzosen sind konservativer als die Deutschen, was die Geschlechtergleichheit betrifft. Bei Anmeldungen auf Plattformen existiert kein „Divers“ und „Monsieur“ ist stets voreingestellt. Außerdem ist hier immer noch die Anrede „Mademoiselle“ verbreitet, obwohl bei männlichen Anreden keine Unterschiede gemacht werden. Mademoiselle sagt man übrigens zu jungen und Madame zu verheirateten Frauen. Wie mich demzufolge die Schüler nennen? Mademoiselle. Madame. Oder Frau Nadja.

Es ist auch unschick, dass die Preisschilder klar und deutlich in einer Bar stehen. Entweder sind sie versteckt oder gar nicht vorhanden. Was ich schon wusste, aber trotzdem lustig finde, ist, dass man im Restaurant regelrecht um die Rechnung bitten muss.

So ich wünsche euch eine schöne Herbstzeit, trinkt viel heiße Schokolade und bis bald! Merde! (Das sagt man nämlich, wenn man sich Glück wünscht.)

La Rochelle bei Tag

La Rochelle bei Nacht

Unterricht mit den Kleinen

verrücktes Theater, auf dem Schild steht „Ruft eine Professionelle an.“ 

Stimulation der Sinne in Bordeaux

im Aquarium in La Rochelle

Was soll ich nehmen?

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