Advent, Advent, der Bildschirm brennt

Na erinnert ihr euch noch, als ich sagte, ich freue mich auf das Seminar in Berlin? Tja, das Seminar war zwar cool, aber Berlin mussten wir trotzdem gegen den Bildschirm eintauschen. Für mich war die Seminarwoche eine gute Abwechslung. Die Vorbereitungszeit für den Unterricht fiel weg, sodass ich während dieser Woche ein bisschen durchatmete. Aber bevor ich euch vom Online-Seminar erzähle, nehme ich euch mit in das Weihnachtswunderland La Rochelle.

Der Advent begann echt gut: die zwei anderen deutschen Freiwilligen überraschten mich am 1. Dezember mit einem Tee-Adventskalender. Ich habe mich unglaublich gefreut. Wenn man sich sonst nur eine Teesorte leistet und wartet, bis sie aufgebraucht ist, ist dieser Kalender reinster Luxus. Mit Freude reiße ich jeden Tag die kleinen Päckchen auf und bin jedes Mal erstaunt über Sorten wie „Framboise Litschi“ oder „Pomme confite et canelle“.

Aber auch La Rochelle entpuppte sich als Weihnachtskalender. Jeden Tag passierte etwas Neues. Erst wurden überall Lichterketten aufgehängt. Den nächsten Tag stellte der Bäcker sein Sortiment um. D’Jolly verkaufte z. B. Schokoweihnachtsbäume, die in der Stadt schon berühmt sind und viel zu schade zum Essen sind. Und die darauffolgenden Tage öffnete auch der Weihnachtsbaumverkauf auf dem Place de Verdun.

Stellt euch vor, mit dem Fahrrad an einem verkaufsoffenen Sonntag durch La Rochelle zu fahren. Es sind angenehme 12 Grad und die Sonne scheint. Alle Läden sind mit Tannenzweigen und Lichterketten geschmückt. Menschen schleppen Einkaufstaschen voll mit Geschenken aus den Läden. Und dann tönt durch die Straßen „Another day of sun“, die Filmmusik von Lalaland. Tatsächlich wurden in der Innenstadt Lautsprecher installiert, die den ganzen Tag Weihnachtslieder und Filmmusik abspielen. Das nenne ich doch Lebensgefühl!

Freitag, 27. November: zwei Menschen und drei Polizeiautos auf den Straßen gesichtet.

Samstag 28. November, Ende des strengen Lockdowns: 300 Menschen, 600 Einkaufstüten und kein Polizeiauto auf den Straßen gesichtet. 

Naaa klingt da nicht schön? Ich liebe es, wenn wieder Leben in die Stadt kommt. Am Waffelstand kam man kaum vorbei, so lang war die Schlange. Die Lockerungen des Lockdowns passend zum Anfang des Advents bewirkten viel – die Stadt durfte endlich wieder aufblühen. 

Viele Lehrer, mit denen ich sprach waren vom Weihnachtsfeeling nicht so begeistert wie ich. Sie finden, dass Weihnachten in Frankreich sehr stark kommerzialisiert wird. Viele Lehrer hassen außerdem Geschenke und wollen zu Weihnachten am liebsten auf eine einsame Insel fliegen. Das erstaunte mich wirklich, weil ich noch nie so eine hübsche Stadt gesehen habe. Klar kann man die Innenstadt nicht mit einem deutschen Weihnachtsmarkt vergleichen. Es gibt weder Handwerkskunst zu kaufen, noch schmückt eine Holzpyramide den Marktplatz. Aber eine illuminierte Kirche in pink, auf der riesige Lichtschneeflocken tanzen, ist auch nicht schlecht. Und die ohnehin schon weiße Stadt sieht sie zu Weihnachten einfach nur filmreif aus. Ganz La Rochelle wurde mit Lichterketten ausgekleidet! Kleine funkelnde Lichter in den Bäumen toppen das natürlich und geben dem ganzen Ambiente eine märchenhafte Stimmung. Es fehlt nur noch Sterntaler, die unter den Bäumen ihr Hemd ausbreitet.

An einem Sonntag bevor die eine Freiwillige nach Hause fuhr, haben wir das letzte Mal zu dritt das beleuchtete La Rochelle bewundert. Den Sonnenuntergang nutzten wir für ein Shooting am Meer mit Weihnachtsmützen, was ein einmaliges Erlebnis war. An diesem Abend begegnete uns dann noch der Weihnachtsmann (mit echtem Bart) in einem Rentierauto. Mit ganz viel Churros und Glücksgefühle im Bauch verabschiedeten wir die Freiwillige in ihren Weihnachtsurlaub. Dann waren wir nur noch zwei.

Ich erinnere mich so gut an diesen Tag, weil das das Ende der Seminarwoche war. Während des Online-Seminars konnten wir endlich alle Freiwilligen wiedersehen und uns austauschen. Wir bemerkten schnell, dass wir alle ähnliche Probleme hatten und es tat gut, sie zu teilen. Danach fragte man mich oft, was wir während des Seminars gemacht haben. Die Lehrer wollten wissen, was ich gelernt habe und ob ich jetzt besser unterrichten kann. Aber letztendlich ist das Ziel eines Seminars eher sein eigenes Freiwilliges Soziales Jahr zu analysieren und dadurch seine Kompetenzen zu verbessern, Sprachkenntnisse zu erweitern und auch einfach Spaß zu haben.

Lustige Bilder entstanden bei der Stadtrallye, die sich die Teamer für uns ausgedacht hatten. Das war eine sehr sehr gute Idee, um die Bildschirmzeit ein bisschen zu verkürzen. Weitere Aktivitäten fanden zu Interkulturalität, Konfliktbewältigung und den Aufgaben in unserer Einsatzstelle statt.

Ich habe viele neue Inspirationen erhalten. Einerseits fand ich theoretische Denkansätze wie diese der Rede „The danger of a single story“ von Chimamanda Ngozi Adichieaus aus Ted Talk interessant. Ich liebe gute Reden. Schaut sie euch an, sie ist echt gelungen. Und jeder kennt es: Man hört eine Geschichte, eine single story und glaubt die Fakten ohne zu hinterfragen: „Ja und, war das alles? Wo bliebt die zweite Perspektive?“ Genau so entstehen dann Vorurteile und Missverständnisse. Ich bemerkte hier zum Beispiel bei den täglichen Gesprächen während der Mittagspause, wie schnell ich alles glaube, einfach weil ich froh bin, einen schwierigen Sachverhalt auf Französisch verstanden zu haben.

Andererseits konnte ich mir von den anderen Freiwilligen viele praktische Tipps geben lassen, wie man die Schüler motivieren kann ohne viel Zeit zu verlieren. Ich freue mich schon, alles im Januar auszuprobieren.

Zwei Abende des Onlineseminars ließen wir ausklingen, in dem wir zusammen aßen und quatschten. Wenn einige von euch gerade im Homeoffice oder im Online-Studium sind und sich fragen, wieso wir so motiviert an einem Online-Seminar teilnehmen, kann ich euch beruhigen. Nach einer motivierten Anfangsphase rutschte jeder in seinen trägen Rhythmus und nicht selten blickten wir in die müden Gesichter der Anderen. Einige kamen im Schlafanzug, ich hatte am Ende auch überhaupt keinen Rhythmus mehr. Da wir alle immer die Kamera anlassen mussten, war das schon amüsant. Ja irgendwann hat es auch gereicht.

Umso mehr freute ich mich schon auf den Abend nach dem Seminar. Wir drei aus La Rochelle veranstalteten einen Mini-Weihnachtsmarkt, da ein paar Franzosen, die wir kennengelernt hatten, einfach nicht wussten, was ein richtiger Weihnachtsmarkt ist. Und so schmückten wir draußen eine überdachte Bank mit Lichterketten und ließen uns Glühwein und heiße Schokolade aus Thermosbechern schmecken. Ein paar Tage vorher suchten wir die deutschesten Leckereien zusammen, die wir finden konnten. Gebrannte Mandeln von Naturalia. Lebkuchen und Spekulatius von Lidl. Kokosmakronen von Leclerc. Und selbstgemachte Schokoäpfel. Délicieux war es! Und was brachten die Franzosen mit? Käse und Baguette natürlich, um dem Klischee gerecht zu werden. Aber Achtung, ich habe gelernt, dass man Baguette nur beim Bäcker sagt und sonst heißt das gute Gebäck einfach nur Brot (pain). Sie meinten, dass man Ausländer daran erkennt, wenn sie sagen „Kannst du mir mal das Baguette reichen?“ Nein, verdammt, das ist Brot!

So haben wir ihnen die deutsche Kultur ein bisschen näher gebracht und sie uns die Französische und dann haben wir von einer Welt geträumt, in der Bars und Diskotheken öffnen.

Aber bis auf die verbliebenen Einschränkungen kann ich mich wirklich nicht beklagen. Ich sitze nämlich gerade im Zug, um Weihnachten mit meiner Familie zu verbringen. Es ist ein merkwürdigen Gefühl wieder direkt in den Lockdown zu fahren, aber ich freue mich auch unglaublich doll auf mein zu Hause. Endlich keine schreienden Schüler mehr unter meinem Fenster, die mich jeden Tag Punkt 7:30 Uhr aus dem Schlaf reißen oder eine Kehrmaschine, die 5:00 Uhr beginnt Krawall zu machen. Ich habe das Landleben wirklich vermisst.

Zum Glück konnte ich mich schon ein bisschen einstimmen, in dem ich Videos und Fotos den Schülern zeigte, wie ich Weihnachten feiere. Auch Stollen aus Dresden durften die Schüler probieren. Eine sehr gelungene Unterrichtsstunde war mit der sechsten Klasse (, die nur aus 11 jährigen Jungs besteht). Ich bereitete einen Wettbewerb vor: Wer die besten Plätzchen bäckt, hat gewonnen. Aber sie sollten natürlich ein deutsches Rezept ausprobieren, was sie vorher mithilfe den Videos meiner Schwestern kennenlernten. Ich konnte mich leider nicht selbst filmen, da ich ja keinen Herd besitze. Und wie war ich gerührt, als fast alle der Jungs eine Kiste mit Plätzchen zur nächsten Unterrichtsstunde mitbrachten! Als die Lehrerin fragte, ob sie auch in der Familie normalerweise zu Weihnachten Plätzchen backen oder ob sie es nur für mich gemacht haben, antwortete die Hälfte, sie hätten das erste Mal Plätzchen gebacken nur für den Unterricht. Zu süß! Und sie schmeckten tatsächlich fast wie die aus meiner Familie.

Mit der Grundschulklasse hatte ich letzte Woche meine letzte Stunde, da ich aller fünf Wochen eine andere Klasse unterrichte. Das Resümee? Die Jungs werden nie diesen Satz vergessen: Mein Lieblingstier ist die Pute. Pute ist nämlich die Nutte im Französischen. Und die Mädchen lieben den Film „Drei Haselnüsse für Aschenputtel“. Mit Lebkuchen und einem Nikolausstiefel voller „Deutsch-Zertifikate“ entließ ich sie traurig. Ich frage mich, ob sie noch „Frohe Weihnachten“ sagen können oder ob sie es schon vergessen haben.

Ansonsten läuft der Unterricht sehr gut. Mit der achten Klasse habe ich einen Schüleraustausch über Teletandem (ein Programm des DFJW) mit einer Klasse aus Halle (Westf.) begonnen und wir haben schon fleißig Weihnachtskarten nach Deutschland verschickt. Im Förderunterricht darf ich seit neuestem selbst mündliche Leistungskontrollen abnehmen und mit Hilfe der Lehrerin benoten. Und in einer größeren Klasse hielt ich einen Vortrag über die Freundschaft von Goethe und Schiller. Der Donnerstagabend mit dem amerikanischen Sprachencafé kommt dann immer wie gerufen, denn da kann man ein bisschen entspannen und den Lebensgeschichten der Lehrerinnen lauschen. Wir haben sogar Thanksgiving gefeiert! Das schöne Foto seht ihr unten in der Fotogalerie.

Und was mir auch sehr viel Freude bereitet hat, war der Besuch bei einer Lehrerin. Die Töchter sind ungefähr in meinem Alter und so hatte ich endlich wieder Familienfeeling. Wir backten zusammen Plätzchen und quatschten über alles Mögliche. Ich habe wieder sehr viel gelernt über die Mentalität der Franzosen, über das Essen und über die Sprache. Zum Apero gab es nämlich ein traditionelles Gericht der Weihnachtszeit, ein Lebkuchenbrot, was man mit Foie gras bestreicht. Foie Gras ist Gänsestopfleber und schmeckt viel besser als sie auf Deutsch klingt. Wer möchte, kann noch Feigenmarmelade darauf streichen.

Und zum Thema Sprache habe ich eine kleine Liste für euch von Wörtern, die man nur im Westen Frankreichs sagt:

-die Tasche: le sac (normalerweise), la poche (in der Region Charante-Maritime)

– das Schokoladenbrötchen: le pain au chocolat (normalerweise), la chocolatine (im Süden und im Westen Frankreichs)

– der Wischmopp: la serpillière (normalerweise), la since (Region Charante-Maritime)

– das Mädchen: la fille (normalerweise), la drôle/drôlesse (Region Charante-Maritime)

– das Maul/der Mund : la gueule (normalerweise), la goule (Region Charente-Maritime)

So und für alle, die über die Ferien ihr Französisch aufbessern wollen und leichte Serien lieben, « Plan Cœur » kann ich nur empfehlen. Es ist eine französische Produktion, humorvoll und man lernt sehr viel Alltagssprache. Mdr c‘est grave!

Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch! Ich esse jetzt erst einmal echtes deutsches Schwarzbrot.

Weihnachtswunderland La Rochelle

Weihnachtsshooting am Meer

bereit für das gemeinsame Video-Dinner mit Poitou-Ziegenkäse aus der Region und farci charantais (eine Pastete aus Kräutern und Spinat)

Stolle und Weihnachtstraditionen in der Deutsch-AG

Deutsch-Zertifikate vom Nikolaus – kleine Überraschung zur letzten Stunde

Karten basteln für die deutsche Austauschklasse

In der Weihnachtsbäckerei: das Werk der Sechstklässler

Thanksgiving im amerikanischen Sprachencafé: von Apple Pie bis Goat Cheese-Cranberry-Walnut-Canape

unsere allerliebste Churrobude

die guten Abende

Wer springt auch im Winter ins Meer?

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert