Alaaf und Helau

Wie oft habe ich diesen Spruch mit den Schülern wohl geübt. Alaaf wird nur mit einem L geschrieben. Und Helau bitte nicht Hellooo ausprechen, wie man es mit einem französischen Akzent machen würde. Ich habe mich in den letzten Tagen wirklich viel mit der deutschen Karnevalstradition beschäftigt und bin ehrlich gesagt selbst überrascht oder vielmehr begeistert von meinem Heimatland. Ich bereue es ein bisschen, dass ich bisher nie bei einem richtigen Karnevalsumzug in Köln, Düsseldorf oder Mainz dabei gewesen war. Meine Oma hat mir damals von einem Umzug „Kamelle“ mitgebracht. Seitdem habe ich den Rosenmontag immer nur im Fernsehen verfolgt. Und wie es so ist, schätze ich dieses Jahr viel mehr die Tradition des Faschings, verteile gern an die Schüler Kamelle, kaufe mit den Freiwilligen Beignets, die das Pendant zu den „Berliner Pfannkuchen“ (Faschingskrapfen, Kreppel) darstellen oder starte einen Schokokuss-Wettbewerb. Letztes Wochenende haben wir uns auch als Freiwillige verkleidet und uns erzählt, wie wir immer (oder manche auch überhaupt nicht) Fasching feiern.

Meine Schüler sind dafür jetzt Experten, was das Krawattenabschneiden zur Weiberfastnacht betrifft und sie kennen sich bestens mit Kamelle, Strüßjer, Bützchen und Jecken aus. Die älteren Schüler im Sprachencafé waren sehr überrascht, wie provokant die Karnevalswagen teilweise gestaltet sind. 

Abgesehen vom Faschingswahn, den uns Freiwillige gepackt hat, sind wir in der letzten Ferienwoche noch ein bisschen gereist. Ein Ausflug auf die Ile de Ré, ein Ausflug nach Bordeaux, nach Sarlat, nach Arcachon… ihr könnt euch vorstellen, dass ich am Ende der Woche nicht mehr wusste, wann ich wo war. Die Bilder geben euch einige Eindrücke.

Besonders Sarlat hat mir gefallen. Viele Engländer und Deutsche ziehen in die Gegend der Dordogne, weil die Küche besonders gut sein soll. Tatsächlich ließ uns das Städtchen immer wieder wissen, wofür es bekannt ist: Gänsestopfleber, Wallnüsse und Trüffel. Die Gans konnte man nämlich überall an Hauswänden, in Städtenamen und auch als Statue finden. Und Wallnusskuchen gehörte in den Superettes einfach dazu. Wir haben die Stadt eher ruhig erlebt. So als wenn der Frühling im Februar zu Besuch ist und das schlafende Örtchen an der Nasenspitze kitzelt. In einem idyllischen Park mit Blick auf einem Pavillon, der mich ein bisschen an Stars Hollow erinnerte, saßen wir aus mangelnder Beschäftigung fast zwei Stunden.

Sarlat ist normalerweise sehr lebhaft. Es ist die Marktstadt in der Gegend. Ich habe gelesen, dass es regelmäßig Trüffelmärkte gibt und Sarlat dann einem Schlaraffenland gleicht.

An diesem Tag hatten wir allerdings nichts gegen die Ruhe. Wir entdeckten in den verwunschenen ockerfarbenen Gassen z. B. einen Gewölbekeller voller Käse und Wein, einen cave à fromage, wo ein Verkäufer gerade dabei war, einen riesigen Käse für seine Kunden einzupacken. Wir entdeckten auch eine Eisdiele, der Hotspot des Tages, wo sich Familien trafen und an Stehtischen den neusten Klatsch austauschten.

Die mittelalterliche Stadt ist weltweit bekannt für die Dichte der historischen Denkmäler. Sie wird vor der Moderne geschützt, sodass wir uns gleich in ein anderes Zeitalter versetzt fühlten. Sofort malten wir uns aus, welche Rolle wir im Mittelalter hätten. Ein Marktverkäufer? Eine Nonne? Ein Handwerker? Ich kann sehr den Rundgang empfehlen, den man bei der Touristeninfo bekommt. Es geht vorbei an dem Todesturm, an der Kathedrale und an zahlreichen mittelalterlichen Häusern, und manchmal erhascht man einen Blick in einen vornehmen Garten oder landet in einem rustikalen Klostergang. Das Herz der Stadt ist der place de la liberté, auf dem ein riesiges dunkles Eisentor das altertümliche Bild der Stadt aufbricht. Dort begegneten wir auch Badaud, ein netter Geselle, der seit 2002 den Ausblick auf den Markt genießt.

Nach dem meditativen Ausflug suchten wir uns das perfekte Kontrastprogramm: Die Dune du Pilat, die höchste Wanderdüne Europas. Und zwar Wanderdüne, weil sie 5 Meter pro Jahr ins Landesinnere wandert und den angrenzenden Wald wortwörtlich überrollt. Man steigt auf der Ostseite hinauf und wird nach einem kleinen Marsch mit einem unglaublichen Ausblick auf den Kiefernwald und auf das endlose Meer belohnt. Man sieht außerdem die Sandbank, die die Düne nährt und weiter weg die Halbinsel Cap Ferret. Wir beneideten ein bisschen die Franzosen, die mit der Düne schon vertraut waren, ihre üppigen Picknicks auspackten und es sich an der Schräge im Sand mit Meeresblick gemütlich machten. Uns blieb nichts anderes übrig, als unsere eingepackten Kekse mit Mäusebissen zu teilen. Weiter unten an der Düne entdeckten wir sogar eine Gruppe Jugendlicher, die um zwei riesige Austernteller herumsaßen und gerade dabei waren, den Wein zu öffnen. Das ist Frankreich.

Wenn man ein bisschen am Strand entlanggeht, findet man eine Holztreppe, die den Rückweg über die Düne erspart. Nach einer turbulenten Busfahrt, von der mir schon schlecht wird, wenn ich nur daran denke, ging der Tag zu Ende und die alltägliche Essensplanung fing wieder an. Was gibt es heute? Welchen Käse kaufen wir? Welches Baguette? Unsere Lieblingsessen wie Ofengemüse, Quiche und Pizza verbesserten wir von Mal zu Mal und ich freue mich schon auf die nächsten Ferien, wenn wir den anderen Freiwilligen unsere Tiramisu-Kreation zeigen können.

Vielleicht erinnert ihr euch, als ich einmal schrieb: in der Woche wird gearbeitet und am Wochenende gereist. Tatsächlich ist das Realität geworden und ich bin sehr glücklich, dass wir bisher ohne weiteren Lockdown Frankreich erkunden können. Und im Frühling macht das natürlich noch viel mehr Spaß. Es liegt eine Aufbruchsstimmung in der Luft. Überall blüht es, die Menschen ziehen sich farbenfroher an, der Crêpe-Stand am Meer hat wieder geöffnet und ich schmiede mit den Schülern schon Pläne für Ostern.

Sei es im Sprachencafé, auf der Straße, in der Kantine oder unter Freiwilligen. Ich bin immer am dazulernen. Amerikanische, chinesische, afrikanische, italienische, bulgarische, türkische und natürlich französische Kultur – ich kann hier in einer Woche gefühlt einmal um die Welt reisen, so verschiedene Menschen treffe ich. So habe ich zum Beispiel von einer Lehrerin, die letztes Jahr von Südafrika nach Frankreich gezogen ist, gelernt, dass in Südafrika der Wein einen viel höheren Alkoholanteil hat, als in Frankreich und Südafrikaner erstaunt sind, wie viel Gläser man in Frankreich an einem Abend trinkt.

Hier ein kleines Update neuer Erkenntnisse und Wörter:

Harrijassesne!

sagt man in Ostfriesland und heißt so viel wie „Ach du meine Güte!“

Wicht

ja genau, „Mädchen“ auf plattdeutsch

cazzo

Scheiße auf Italienisch und geht viel besser über die Lippen als das deutsche Wort

Punk à chien

französisch, ausgesprochen: pönkaschjäng, ein Obdachloser mit Hund

Kouign amann

die meisten Franzosen wissen nicht, wie man das schreibt, ausgesprochen: kuinjemann, ein bretonischer Kuchen, gibt es als Eissorte in La Rochelle

les puits d‘amour

„Brunnen der Liebe“ – ein zartschmelzendes Gebäck aus Captieux (südlich von Bordeaux), was im 18. Jahrhundert durch die Anspielung auf die weiblichen Genitalien einen Skandal verursachte

les francofolies, oder einfach „franco“

berühmtes Festival in La Rochelle, dieses Jahr (noch nicht abgesagt) vom 10.-14. Juli

die sechste Klasse bereitet Vorträge zum Karneval vor 

Les puits d’amour – Brunnen der Liebe

mittelalterliches Sarlat

die Schätze findet man in den Tiefen von Sarlat

er heißt Badaud

riesiges Tor in Sarlat

der Aufstieg auf die Dune du Pilat

wieder unten auf der anderen Seite

Quiche für die Seele und Ingwertee für die Gesundheit

deutsche Woche bei Lidl

Blumen in La Rochelle im Februar

2 Kommentare zu „Alaaf und Helau“

  1. Deutsche Woche bei Lidl, ich lach mich gerade schlapp, Nadja.
    Auf diese Düne möchte ich unbedingt. Ich habe neulich davon gelesen und es sofort auf meine to do Liste gesetzt. Und jetzt lese ich das du dort warst. Mega cool.
    Übrigens bekomme ich immer großen Hunger, wenn ich Deine Blogeinträge lese.
    Ich freue mich sehr, dass du so viel reisen darfst, genau so sollte es sein. Genieß es und weiterhin viel Spaß in der Schule und beim Reisen und Entdecken. Bis bald

    1. Hey, ich freue mich, dass ich dich inspirieren kann! Und ja in Frankreich bekommt man allgemein sehr schnell Appetit bei all den leckeren Dingen 🙂
      Vielen Dank für deine schönen Worte, ich werde es genießen!

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