Noch nie in meinem Leben war ich so spontan. Drei Wochen, drei Städtetrips. Was für eine erlebnisreiche Zeit! Heute habe ich das erste Mal wieder ein bisschen Ruhe, kann Wäsche waschen und die Wohnung putzen. Und ich habe viel Zeit zum Nachdenken und natürlich zum Schreiben.
Zuerst berichte ich euch von Toulouse. Die Schnapsidee, eine Freundin in dieser schönen Stadt zu besuchen, ist aus Panik entstanden, als alle Welt davon sprach, dass es bald den nächsten Lockdown geben wird. Da haben wir uns ganz schön geirrt! Nach drei Wochen sind immer noch keine zusätzlichen Einschränkungen in Sicht.
Toulouse wird auch „la ville rose“ genannt. Ich habe mir unter diesen Namen alles Mögliche vorgestellt, aber nicht eine Stadt komplett aus Backstein. Ja wirklich, als ich aus der Metro stieg, war es, als hätte man einen roten Filter über die Stadt gelegt. Wenn die Sonne rauskommt, schimmert der Backstein sogar in einem warmen Gold.
Meine Freundin zeigte mir die ganze Stadt, besonders mochte ich die Brücke „Pont Neuf“. Stilvolle Laternen aus einem anderen Jahrhundert in Türkis schmückten diese und passten sich somit wunderbar dem grünen Wasser der Garonne an. Und gleich an der anderen Uferseite befindet sich – nun auch mein – Lieblingsplatz. Man sitzt dort nämlich direkt am Wehr und hat einen Ausblick auf ein traumhaftes Backstein-Panorama. Wenn ihr euch auf diesem Platz von einer Stadttour ausruhen wollt, kann ich nur empfehlen, vorher beim Bäcker einen warmen Croque Monsieur zu kaufen. Zu lecker!
La Rochelle, wo die Häuser maximal zwei Stockwerke zählen, ist schon etwas anderes als die hohen Bauwerke mit Schnörkeleien und Balkons. Das Zentrum der Stadt ist der Place du Capitole. Er ist an der Ostseite vom Kapitol und von den anderen Seiten von großen Backsteingebäuden begrenzt. Das Ensemble drückt absolute Harmonie aus. Um die Wohltat des Auges nicht zu stören, müssen sich Läden auf dem Place du Capitole an ein bestimmtes Schriftmuster halten. Man könnte meinen, McDonald‘s sei ein Nobel-Restaurant mit den goldenen großen Buchstaben. Und trotzdem hat der Platz etwas Gemütliches. Vor allen in diesen Zeiten sitzen viele junge Menschen in der Mittagszeit auf dem Platz und gönnen sich ihr Fast-Food. Überhaupt ist diese Stadt jung. Ein Laufsteg! Also wirklich 90% der Fußgänger sind perfekt gestylt.
Ein Muss ist natürlich die größte romanische Basilika Europas: Saint-Sernin. Sie beeindruckt mit einem riesigen vergoldeten und marmorierten Altarraum. Und sie ist ein wichtiger Halt des Jakobsweges.
Die Insider von Toulouse sind die Kunstwerke in den Metrostationen, der Marché de Saint Aubin (Streetfoodfestival-vibes!) und der japanische Garten. Wir hatten das Glück an einer deutschen Stadtführung teilnehmen zu können, die uns noch einmal einen anderen Blick auf Toulouse werfen ließ. Die Stadtführerin ließ den Abend mit uns in einer kleinen Teestube ausklingen, bevor es für uns wieder zurück zur Metrostation Esquirol, was auf Okzitanisch Eichhörnchen heißt, ging.
Am nächsten Tag waren wir auf dem Marché de Saint Aubin auf der Suche nach Cassoulet oder Aligot. Beides sind typische Gerichte des Südens. Wir entschieden uns für Aligot, eine Mischung aus Käsefondu und Kartoffelbrei. Es ist so einfach und so lecker! Deshalb war es auch ein beliebtes Gericht zur Verköstigung der Pilger. Mit einem vollen Bauch und unzähligen Eindrücken machte ich mich wieder auf den Weg nach La Rochelle. Ich war fest davon überzeugt, dass jetzt der Lockdown kommt.
Und so wartete ganz Frankreich auf die 18 Uhr Nachrichten, die fast jeden Donnerstag Auskunft über die Corona-Situation geben. Doch ein Lockdown kommt vorerst nicht in Frage, hieß es. Eifrig wurde in unserer WhatsApp Gruppe der Freiwilligen hin- und hergeschrieben. Wir mieten uns ein Aparthotel in Bordeaux, schlug eine Freiwillige vor. Gesagt, getan.
Eine Woche später saß ich wieder im Zug und diesmal war Bordeaux das Ziel. Diese Stadt kennt jeder. Aber neben dem Wein gibt es noch eine andere Spezialität, das Canelé. Das ist ein Gebäck in der Form eines Mini-Kugelhupfes, gewürzt mit Vanille und Rum. Typisch sind die karamellisierte Kruste und der weiche Kern. Oje ich könnte mich in diese Köstlichkeit wirklich reinlegen.
An diesem Wochenende war Dauerregen angesagt. Überhaupt regnet es in Bordeaux eigentlich immer. Wir trafen uns im Jardin Public, ein 10 Hektar großer Garten, der mich an die Gärten in Paris erinnerte. Zwischen Palmen, Statuen und Blumenbeeten entdeckten wir ein Gebäude mit Rundbögen, unter die man sich stellen konnte. Spontan feierten wir mit Sekt, Kuchen und Partyhüten den Geburtstag einer Freiwilligen nach und meinen vor.
Bordeaux ist eine sehr schicke und lebendige Stadt. Ein magischer Ort ist der Place de la Bourse. Dort befindet sich der Mirroir d’eau. Das ist ein riesiger Platz, der im Sommer mit Wasser gefüllt ist und in dem sich die historischen Gebäude spiegeln. Wir erlebten ihn ohne Wasser aber dafür mit Tanzgruppen und Sportlern, die den Platz für sich nutzten. Von dort aus kann man herrlich an der Garonne, ähnlich wie in Toulouse, entlangspazieren.
Was mir besonders gefallen hat, war die Offenheit der Menschen. Wir haben nicht nur eine Tanzgruppe bestaunen können, die auf der Straße ihre Hip-Hop-Choreos präsentierte. Mit unseren schweren Rucksäcken und den praktischen Regenjacken fühlten wir uns neben den Mädchen fehl am Platz, die bauchfrei in Neon gekleidet mit der Kamera flirteten. Na wenn das nicht für Instagram war! Menschen sprachen einen einfach an, ein Verkäufer auf dem Flohmarkt erzählte uns seine ganze Lebensgeschichte. Ein Türke zeigte uns den besten Kebab-Laden der Stadt und wir lernten eine Italienerin kennen, die in Bordeaux studiert. Zwischendurch wurde das halbe Straßenbahnnetz lahmgelegt, weil Menschen mit schwarzen Basken- und roten Freiheitsmützen gegen künstliche Befruchtung demonstrierten. Ich hatte den Eindruck auf einem Volksfest gelandet zu sein, so gutgelaunt waren die Demonstranten.
Auch wir gaben uns der französischen Musik hin und so wurde bis spät in die Nacht „Madison“ im Apart-Hotel getanzt. So richtige Wein-Abende haben wir einfach vermisst, an denen man um 2 Uhr nachts Nudelreste snackt und Olivenkerne lutscht.
Und dann begannen die Ferien und mit ihnen die Erkenntnis, dass wir immer noch reisen durften. Also saß ich bald wieder im Zug auf dem Weg nach Avignon. Dort mieteten ein paar andere Freiwillige und ich ein Airbnb und erholten uns endlich von den aufregenden Wochen. Es war so schön, zusammen stundenlang zu Abend zu essen. In der geräumigen Küche konnten wir uns richtig austoben! Und so zauberten wir jeden Tag ein 4-Gänge-Menü und ließen uns unter anderem selbstgemachtes Aligot mit Ofengemüse und als Nachspeise einen noch warmen Käsekuchen schmecken.
Wir schauten Austland. Wir feierten Fasching. Wir tranken wieder Wein. Besser geht es doch nicht oder? Achja und aus Mangel an Pfannkuchen/Berliner/Kreppel (oder wie du auch immer dazu sagst) kam eine Freiwillige auf die glorreiche Idee, Brioche-Brötchen aus dem guten Utile mit Schokolade zu bestreichen und für die deutsche Tradition, einige mit Senf zu befüllen.
Außerdem hatten wir eine Wohnung mit Terrasse gebucht, von der aus man einen herrlichen Ausblick auf den Papstpalast hatte. Pünktlich um 8 weckte uns dann immer eine Freiwillige, da wir doch sonst das Schauspiel verpassen würden, wenn der Papstpalast golden schimmerte.
Und nein ich habe nicht auf der Brücke von Avignon zu dem berühmten Lied getanzt, denn… diese Brücke war GESCHLOSSEN. Über diese große Enttäuschung mussten wir erst einmal drüber hinwegkommen. Himbeereis linderte den Schmerz, und der atemberaubende Ausblick auf den Berg „Mont Ventoux“, und die Sonne, oh und ein Mann mit Unterhose, der unser Baguette an seinen Hund verfüttern wollte.
Bis bald!
Toulouse: la ville rose (die rosa Stadt)
Spaziergang an der Garonne
Hallo Käsehimmel: Aligot auf dem Marché de Saint Aubin
im Jardin Public in Bordeaux
Party hard
Bordeaux wie’s lebt
Canelés aus Bordeaux
die berühmte Brücke von Avignon und dahinter der Mont Ventoux
unser Ausblick auf den Papstpalast
die Festung Fort Saint-André auf der anderen Flussseite von Avignon
Geburtstagskuchen in La Rochelle